Persönlichkeit und Sein: Teil 2 – Dient deine Persönlichkeit dir oder bestimmt sie dich?

04/2014

(Inspiriert von einem Gespräch neulich mit einem sehr netten Typen)

Die Persönlichkeitsspiele der Menschen wurzeln allesamt in der Angst und dem Misstrauen davor, echt zu sein. Nimm dir zum Beispiel ein Kind, das lernt: „Wenn ich kein braver Junge bin, mögen mich die Leute nicht. Bin ich ein braver Junge, dann kriege ich, was ich will.“ Die Bühne ist frei für Mr. Nice Guy, der als Erwachsener die Show abzieht. Hinter den Kulissen wartet seine Angst – vor Zurückweisung oder davor, nicht gut genug zu sein – mit all ihren bedrohlichen Konsequenzen, die oft in einem Wort zusammengefasst werden können: Einsamkeit.

So überraschend ist das nicht. Wenn wir von uns selbst abgetrennt sind, sind wir einsam, und solange wir die Rolle unserer Persönlichkeit spielen – zum Beispiel den netten Typen –, haben wir keine Chance, den zu begrüßen, der sich in unserem Kostüm versteckt. In tiefster Seele sehnen wir uns nach dem, der wir nicht sein können. Vielleicht wissen wir auch nicht, dass dort jemand ist, weil wir in dem Glauben leben, unsere Persönlichkeit sei, wer wir wirklich sind – als würden wir in der Dauerschleife eines Films mitspielen, der Wer ich zu sein versuche heißt. Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben in dem Film verbringen. Ihr wahres Wesen wird niemals das Tageslicht erleben und feiern. Ihr wirkliches Leben verstreicht ungelebt.

Der Versuch, jemand zu sein, steht dann im Mittelpunkt, wenn es in den Jahren unseres Heranwachsens niemanden gab, der uns einlud, unseren wahren Gefühlen und Erfahrungen zu vertrauen und sie auszuleben: Wir sollten nicht traurig oder wütend oder zu ausgelassen oder forschend sein oder überhaupt zu viel Spaß haben. Die Botschaft, die bei uns ankam, war: „Es ist nicht in Ordnung, ich zu sein!“

Es gibt so viele Möglichkeiten, Kindern mitzuteilen, dass sie nicht sie selbst sein sollen! Wenn sie dafür bestraft werden, kann es sein, dass sie rachsüchtig werden. Aber was soll man tun? Wie kann man glücklich sein oder sich zumindest sicher fühlen? Indem man sich ein akzeptables Persönlichkeitskostüm erschafft! Oder besser noch eines, das bewundert und belohnt wird. Oder wenn das Leben dir einfach zu übel mitgespielt hat, baust du dir eine Rüstung und ziehst gegen die Welt in den Krieg. Oder einen Dämmschutz, damit du nichts mehr fühlst. Ob nett, gemein oder betäubt – unsere Persönlichkeitskostüme können sicherstellen, dass wir niemals unser inneres Wesen entdecken. Das ist das magische Wesen; das, was kreativ, leicht, warmherzig, intelligent (statt nur einfach clever) sein kann; das, was lieben und lachen und fürsorglich sein kann; das, was die Mysterien von Seele und Geist spüren kann; das, was hier sein kann, ganz lebendig und wach für alles, was hier und jetzt ist. Natürlich kannst du ein Kostüm erschaffen, mit dem du all diese Eigenschaften vorspielst. Wo der Unterschied liegt? Das ist leicht zu erkennen: Dein wahres Wesen hat kein verborgenes Motiv – es versucht nicht, etwas zu bekommen, muss nicht andere dazu bringen, es zu mögen, hat keinen Plan, Geld damit zu verdienen, hat keine Gelüste nach Macht oder Ruhm – keine Politik! Gleichzeitig kann ein guter Persönlichkeitskleiderschrank von großem Vorteil sein, schließlich ist Politik auch nützlich, sogar kreativ! Entscheidend ist, ob du in dem Kostüm, das du trägst, präsent bist. Anders gesagt: Dient deine Persönlichkeit dir oder bestimmt sie dich?

„Wenn also meine Kindheit mich in meine Persönlichkeit getrieben hat und das alles ist, was ich kenne, was kann ich dann daran ändern?“

Wenn ich mir diese Frage überhaupt stelle, habe ich bereits begonnen, etwas daran zu ändern. Die Persönlichkeit hat an dieser Frage kein Interesse. Sie glaubt an sich selbst. Wenn der nette Typ überzeugt ist, dass er echt ist, dann steht es außer Frage. Die Frage taucht nur dann auf, weil etwas tiefer Liegendes – ja, verborgen im Kostüm – aufgewühlt wird, zuhört, ahnt, dass vielleicht alles nicht so ist, wie es scheint. Selbstfindung beginnt mit dem Zweifel – wenn der Zweifel zur Neugier führt, wird die Frage zur Suche, und unsere Reise von der Persönlichkeit ins Sein beginnt. Dann beginnen sich Menschen für erfahrungsbasierte Abenteuer zu interessieren, und ganz bestimmt hat das in den letzten dreißig Jahren eine Menge Leute zu Art of Being-Workshops gebracht. Aber es gibt etwas, das jeder ausprobieren kann, ohne irgendwo hingehen zu müssen – man muss es nur in den gewöhnlichen Alltag bringen –, das auf magische Weise transformierend sein kann. Es ist ganz einfach und braucht nur dein Vertrauen und deinen Mut. Alles, was du tun musst, ist dich auf frischer Tat zu ertappen! Werde dir deines Persönlichkeitskostüms bewusst, während du es trägst: wenn du Mr. Nice spielst, fies bist, dich beklagst, anderen die Schuld gibst, das Opfer spielst, jede Auseinandersetzung gewinnen musst, der Besserwisser bist, jeden vollquasselst, heilig tust, dich dumm stellst, alle auslachst … die Liste geht endlos weiter.

Anfangs kann es sein, dass du dich erst nur nach der Tat ertappst oder wenn du mittendrin bist. Worauf es ankommt – und das ist der Grund, weshalb du Vertrauen und Mut brauchst – ist, dass du im gleichen Augenblick, in dem du dir dessen bewusst wirst, loslässt. Du atmest tief durch, und beim Ausatmen löst du dich von deiner Gewohnheit. Du lässt den Charme weg, hörst mit dem Gequassel auf, verlierst in Stille die Auseinandersetzung, beendest den Witz nicht usw. Und du machst nicht stattdessen etwas anderes! Das ist der entscheidende Faktor. Du verschleierst nichts, indem du zu einem anderen Persönlichkeitsspiel übergehst. Du lässt dich einfach in einem Zustand sein, in dem du nicht weißt, wie du sein sollst. Zunächst wirst du dich wahrscheinlich unwohl fühlen – hilflos, verlegen, vielleicht ein bisschen albern –, aber das ist nur ein Teil dessen, was passiert. Wenn du weiterhin bewusst auf diese Leerstelle achtest, beginnt sie zum Leben zu erwachen. Niemand anders muss davon etwas wissen. Du erklärst nichts – das ist nur ein weiteres Versteck. Du atmest einfach weiter in alles hinein, was in dir passiert.

Wenn du dir zutraust, in den nächsten 6 Monaten – ja, ich meine Monate! – darauf zu achten, wirst du mit der Zeit schon vorher mitkriegen, wann du mit deinem Persönlichkeitsspiel beginnst. Inzwischen ist dir das viel geheimnisvollere Wesen bewusst geworden, das da gerade erwacht. Du beginnst den zu begrüßen, den du dein Leben lang ignoriert hast – den, der du jetzt wirst! Deine Freunde, Arbeitskollegen, dein Schatz, dein Ehepartner, deine Kinder und deine Eltern, sie werden sich alle darüber wundern, wie du dich verändert hast. Jeder wird mehr Freude an dir haben, außer den Leuten, die sich davor fürchten, sie selbst zu sein. Vielleicht haben sie Angst vor dir, obwohl du sie auch dazu inspirierst, ihre eigene Magie zu entdecken!

Noch eine Sache: das Vertrauen und den Mut zu finden, dich dabei zu erwischen und dich dann allmählich und kontinuierlich mit allem anzufreunden, was dir in dir selbst begegnet, kann sehr herausfordernd sein. Es kann so abschreckend sein, dass du dich einfach nicht traust. Dann könnte es wirklich gut sein, an einer jener Selbsterfahrungsgruppen teilzunehmen, die dich in erster Linie zu deinem Wesen bringen. Das Metaziel ist das Etwas andere, das in allen Art of Being-Workshops eine Rolle spielt. Es ist gar nicht so wichtig, was das Thema ist: Tantra, wenn du deine Sexualität erforschen willst, Tod, wenn das deine ständige Angst ist oder du immer Schwierigkeiten mit dem Loslassen hast, Seele, wenn du das Gefühl hast, deine verloren zu haben, Kindheitsregression, wenn du Verletzungen zu heilen hast, ein Paarworkshop, wenn es in deiner Beziehung kriselt. Such dir das Thema, das dich anspricht, es ist dein gewählter Lernweg. Wichtig ist das mysteriöse Öffnen und Erwachen in dir während des Workshops, denn die ganze Zeit über passiert noch etwas anderes. Dieses Etwas andere ist der wahre Schatz, der bei allem, was geschieht, unsichtbar strahlt. Er ist es, der dich aus deinen Persönlichkeitsverstecken herausführt in die pulsierende, lebensverändernde Magie des Seins.